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Transkript
Hallo da draußen und willkommen bei Margit Sies- Worte. Wissen Wunschkunden.
Ich gestehe, der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung ändern kann. Warum? Hätte mich vor einigen Jahren ein Kunde gefragt, an wen er sich wenden soll, wenn er in kurzer Zeit große Volumina zu übersetzen hat, hätte ich sicherlich eine Agentur empfohlen. Heute sage ich: Blödsinn. Und naturgemäß wird das Wort Blödsinn noch öfters fallen.
In diesen Zusammenhang sage ich einfach mal : Aufwachen. Wir schreiben das Jahr 2024 und wir sind, oh Wunder, vernetzt. Nicht nur zum Nasebohren, sondern auch im Job. Und Homeoffice war schon lange vor Corona unsere Lebensrealität. .
Ja, Realität ist ein echt gutes Stichwort. Deshalb hier mal die top fünf meiner Vorurteile, wenn es um Übersetzer und Dolmetscher geht. Also um freischaffende Übersetzer und Dolmetscher. Die werden nämlich gerne von großen Agenturen angeführt, wenn es darum geht, immer mal wieder zu betonen, warum es angeblich besser, sicherer und ach viel bequemer ist, mit Agenturen zusammenzuarbeiten. Argument Nr. 1:
Freiberufliche Einzelübersetzer arbeiten ja alleine im stillen Kämmerlein remote und sind deshalb grundsätzlich schlecht verfügbar, nicht immer erreichbar oder fallen aus, wenn sie krank oder in Urlaub sind. Blödsinn schon wieder. Ich sagte schon, dass wir das Jahr 2024 schreiben. Übersetzer sind genauso vernetzt wie jede andere Berufsgruppe, bilden sich weiter und wissen nicht nur, wie man eine Tastatur und eine Kaffeemaschine bedient, sondern auch moderne Tools zur Zusammenarbeit. Übrigens zum Thema Krankheit oder Urlaub.
Wenn sie bei der Agentur Ihres Vertrauens Ihren Projektmanager gerade nicht erwischen, weil er krank oder im Urlaub ist, ist möglicherweise der Azubi oder die Teamassistentin an der Strippe und hat nicht wirklich eine Ahnung von ihrem Projekt. Wenn sie mit einem eingespielten Übersetzerteam zusammenarbeiten, haben sie sehr gute Chancen, schnell an die gewünschte Info zu kommen. Bingo. Wo waren wir jetzt? Argument Nr. 2
Einzelübersetzer kennen sich nur in einem Fachgebiet aus. Und deshalb haben natürlich Übersetzungsbüros die Nase vorn, weil die ja alle Sprachen und alle Fachgebiete anbieten. Zumindest steht es so auf vielen Webseiten. Hallo? Jemand zu Hause?
Wir überlegen mal kurz. Gerade dann, wenn eine Firma in einer Nische zu Hause ist und wirklich ein Spezialgebiet bedient, wird sie wohl eher Wert darauf legen, dass ein Dienstleister sich mit einem Thema hervorragend auskennt, Terminologie kontinuierlich pflegt und vielleicht auch mal kurzfristig einspringen kann, wenn Not am Mann ist. Wohlgemerkt, ein verlässlicher Partner, der sich mit einem bestimmten Thema auskennt. Dem Kunden ist es dann relativ egal, ob der oder diejenige noch weitere 10 Fachgebiete beherrscht. Und wenn er tatsächlich eins von diesen 10 Fachgebieten braucht, kann derjenige oder diejenige sicher immer noch Kollegen weiterempfehlen.
Und jetzt, jetzt setze ich mal noch eins drauf. Das Gold der Agenturen. Übersetzer sind ja Subunternehmer, deren Namen sie meist streng geheim halten. Ein Segen für jeden Endkunden, wenn er einen engen Draht zu seinem Spezialisten pflegt, diese Person vielleicht sogar regelmäßig persönlich trifft, ihn oder sie vielleicht zu Produktschulungen einlädt, über Neuigkeiten informiert und so weiter und so fort. Vielleicht gibt diese Person sogar Inhouse Workshops in Form von Sprachkursen oder interkultureller Kompetenz. Jetzt mal so ganz unter uns: Braucht man dafür wirklich eine Agentur?
Lasse ich jetzt einfach mal im Raum stehen. Wir waren bei Argument Nr. 3: Großaufträge.
Der große Punkt für omnipräsente Agenturen. Einzelübersetzer sind ungeeignet für Großaufträge. Endlich, endlich, endlich haben wir tatsächlich einen guten Punkt. Blödsinn, passt auch hier wieder ganz gut. Ein Profi, der sich mit einem Fachgebiet gut auskennt, schafft, sagen wir mal, zwei bis dreitausend Wörter pro Tag.
Je nach Fachgebiet und Firmenstruktur arbeitet er, wie schon gesagt, in bewährten Teams zusammen und nutzt moderne Translation Tools. Ganz kleiner Exkurs an dieser Stelle. Diese Tools haben null komma nichts mit sogenannten automatischen Übersetzungen zu tun, sondern sind Spezialsoftware, die nicht ganz billig ist, nicht ohne weiteres bei Amazon für €49 erhältlich ist, für die man tatsächlich eine Einarbeitung braucht und die so funktioniert, dass sie erkennt, wenn Teile eines Originaltexts mit einer gewissen Übereinstimmung bereits von einem menschlichen Übersetzer bearbeitet wurden und entsprechende Vorschläge macht. Allerdings funktioniert das Ganze nur mit einem sogenannten Translation Memory. Das heißt, ein menschlicher, kompetenter Übersetzer muss dieses Ding füttern mit der Arbeit, die er selbst erledigt hat, mit den Texten, die er selbst erarbeitet und erstellt hat.
Heißt im Klartext: Mehr Effizienz, weniger Kosten. Heißt in der Praxis, dieser Profi kann durchaus seine €3000 pro Tag schaffen, auch wenn er zwischendurch vernünftig ist, Pipi macht, soziale Kontakte pflegt und sich um Akquise, Buchhaltung, Weiterbildung kümmert und auch sonst noch ein einigermaßen gutes Leben führt.
Ja, den persönlichen kleinen Horror, den kann man schon mal erleben, wenn einer am Werk ist, der keine Ahnung hat. Das war natürlich eben gerade ein kleiner Versprecher. Es sollte nämlich nicht €3000 heißen, sondern 3000 Wörter pro Tag. Wobei €3000 sind eigentlich nicht wirklich ein Problem. Man muss nur genügend billige Subunternehmer finden, und davon gibt es wirklich reichlich.
Ich kann es ehrlich gesagt oft selbst nicht glauben, aber ich erlebe es wirklich regelmäßig am eigenen Leib. Ich erhalte z.B. gerne freitags spätabends Angebote von Agenturen mit vertraulichen Dokumenten in der Anlage, die übers Wochenende fertiggestellt werden sollen, weil in der Folgewoche ein wichtiger Notartermin oder ähnlich brisante Events zur Debatte stehen. Ich sage bewusst Angebote, nicht Anfragen, denn die Agenturen geben regelmäßig einen Preis vor, der in der Regel so ungefähr 1/5 dessen beträgt, was ich üblicherweise Endkunden berechne.
Und zwar ohne Eil oder Wochenendzuschlag. Und die Preise, die ich berechne, verstoßen meiner Meinung nach nicht gegen die guten Sitten, aber sei es drum. Oh ja, da hätten wir doch noch den Punkt Vertraulichkeit. Ganz wichtig. Der wird nämlich auch ganz gerne von großen Agenturen so ein ganz kleines bisschen unter den Tisch gekehrt.